Scythe - Der Zorn der Gerechten: Band 2

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Overview

Der zweite Band der großen »Scythe«-Trilogie von New-York-Times-Bestseller-Autor Neal Shusterman
Citra hat es geschafft.
Sie wurde auserwählt
und als Scythe entscheidet sie jetzt,
wer leben darf und wer sterben muss.
Doch als wenn das nicht schon schwer genug wäre,
übernehmen skrupellose Scythe die Macht
und stellen neue Regeln auf. Die wichtigste Regel lautet,
dass es ab jetzt keine Regeln mehr gibt.
So beginnt Citras Kampf für Gerechtigkeit.
Ein Kampf, den sie nur gemeinsam gewinnen kann
mit ihrer großen Liebe Rowan.


Product Details

ISBN-13: 9783733650162
Publisher: Fischer Sauerländer
Publication date: 03/14/2018
Series: Scythe , #2
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 544
File size: 2 MB
Age Range: 14 Years
Language: German

About the Author

About The Author

Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.

Pauline Kurbasik, geboren 1982 in Landau, studierte Romanistik, Anglistik und Linguistik sowie Literaturübersetzen. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen und Französischen und lebt in Köln.

Kristian Lutze studierte Anglistik/Amerikanistik und Germanistik in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg. Er lebt in Köln und übersetzt neben Neal und Jarrod Shusterman u. a. Martin Cruz Smith, Walter Mosley, Michael Robotham und Robert Wilson aus dem Englischen.


Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.
Pauline Kurbasik, geboren 1982 in Landau, studierte Romanistik, Anglistik und Linguistik sowie Literaturübersetzen. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen und Französischen und lebt in Köln.
Kristian Lutze studierte Anglistik/Amerikanistik und Germanistik in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg. Er lebt in Köln und übersetzt neben Neal und Jarrod Shusterman u. a. Martin Cruz Smith, Walter Mosley, Michael Robotham und Robert Wilson aus dem Englischen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Wiegenlied

Apricotfarbener Samt mit einer bestickten babyblauen Borte. Der Ehrenwerte Scythe Brahms liebte seine Robe. Sicher, der Samt wurde in den heißen Sommermonaten unbequem, doch daran hatte er sich in seinen dreiundsechzig Jahren als Scythe mittlerweile gewöhnt.

Er war erst vor kurzem erneut über den Berg gekommen, hatte sein körperliches Alter auf muntere fünfundzwanzig resetten lassen – und stellte nun in seiner dritten Jugend fest, dass sein Appetit auf Nachlesen stärker war denn je.

Er ging immer nach demselben Muster vor, auch wenn die jeweilige Methode variierte. Er wählte ein Subjekt aus, fesselte es und spielte ihm dann ein Wiegenlied vor – Brahms' Wiegenlied, um genau zu sein –, das berühmteste Musikstück, das sein Historischer Patron komponiert hatte. Wenn ein Scythe sich schon nach einer Persönlichkeit der Geschichte benennen musste, sollte die gewählte Figur auch irgendwie in sein Leben integriert werden. Er spielte das Wiegenlied auf dem Instrument, das gerade verfügbar war, oder er summte einfach die Melodie. Dann beendete er das Leben des Subjekts.

Politisch neigte er der Linie des verstorbenen Scythe Goddard zu, denn er genoss das Nachlesen über die Maßen und sah keinen Grund, warum das für irgendjemanden ein Problem darstellen sollte. »Haben wir in einer perfekten Welt nicht alle das Recht, das zu lieben, was wir tun?«, hatte Goddard geschrieben, eine Ansicht, die in den regionalen Scythetümern immer mehr Zuspruch fand.

An diesem Abend hatte Scythe Brahms gerade eine besonders unterhaltsame Nachlese in der City von Omaha erledigt und pfiff immer noch seine Erkennungsmelodie, als er die Straße entlangschlenderte und überlegte, wo er noch ein spätabendliches Essen bekommen würde. Aber dann stutzte er mitten in der Strophe, weil er das deutliche Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

Natürlich gab es Kameras auf jedem Laternenmast in der Stadt. Der Thunderhead war allzeit wachsam – aber für einen Scythe waren dessen nie ruhenden, nicht einmal blinzelnden Augen kein Anlass zur Sorge. Der Thunderhead hatte keine Macht, das Kommen und Gehen der Scythe auch nur zu kommentieren, geschweige denn in das Geschehen einzugreifen. Der Thunderhead war der ultimative Voyeur des Todes.

Aber es musste mehr sein als das kontrollierende Wesen des Thunderhead, das Brahms' Instinkt alarmiert hatte. Scythe lernten, ihre Wahrnehmung durch Training zu schärfen. Die Zukunft konnten sie nicht vorhersehen, doch fünf hochentwickelte Sinne wirken zusammen wie ein sechster. Oft reichte ein Geruch, ein Geräusch oder ein flüchtiger Schatten, zu unbedeutend, um ihn bewusst wahrzunehmen, dass sich einem gut ausgebildeten Scythe die Haare sträubten.

Scythe Brahms drehte sich um, schnupperte, lauschte. Er nahm seine Umgebung in sich auf. Er war in einer leeren Seitenstraße. Von weitem hörte er die Geräusche der Cafés, das stetig pulsierende Nachtleben der Stadt, aber in der Straße, in der er sich befand, waren zu dieser Tageszeit alle Läden verrammelt – Reinigungen und Kleiderhändler, eine Eisenwarenhandlung und eine Kindertagesstätte. Er war mit seinem unsichtbaren Verfolger allein.

»Komm raus«, sagte er. »Ich weiß, dass du da bist.«

Vielleicht war es ein Kind oder ein Widerling, der um Immunität feilschen wollte – als ob ein Widerling irgendetwas besäße, womit er handeln konnte. Womöglich war es auch ein Tonist. Die Tonkulte verachteten Scythe, und obwohl Brahms noch nie davon gehört hatte, dass ein Tonist einen Scythe tatsächlich angegriffen hätte, waren sie bekanntlich manchmal eine Plage.

»Ich tu dir nichts«, sagte Brahms. »Ich habe gerade eine Nachlese erledigt und kein Verlangen, meine Rate heute noch weiter zu erhöhen.« Obwohl er seine Meinung, ehrlich gesagt, ändern könnte, wenn der Störenfried entweder zu unverschämt oder zu unterwürfig war.

Aber nach wie vor trat niemand aus dem Schatten.

»Gut«, sagte er. »Dann hau ab, ich habe weder die Zeit noch die Geduld zum Versteckspielen.«

Vielleicht hatte er sich das Ganze doch nur eingebildet. Seine verjüngten Sinne waren jetzt womöglich so scharf, dass sie auf Reize reagierten, die viel weiter entfernt waren, als er vermutete.

In diesem Moment sprang wie auf Federn eine versteckte Gestalt hinter einem geparkten Wagen hervor und stürzte sich auf Brahms, der aus dem Gleichgewicht geriet und zu Boden gegangen wäre, wenn er noch die langsamen Reflexe eines älteren Mannes und nicht die frischen eines Fünfundzwanzigjährigen gehabt hätte. Er stieß seinen Angreifer gegen eine Mauer und überlegte, seine Klinge zu zücken und den Schurken nachzulesen, aber Scythe Brahms war noch nie ein mutiger Mann gewesen. Also rannte er los.

Er huschte aus dem Lichtkegel der Laternen, die Kameras auf ihren Masten schwenkten, um ihn zu verfolgen.

Als er sich umdrehte, war die Gestalt gut zwanzig Meter hinter ihm, und Brahms erkannte, dass sie eine schwarze Robe trug. War das eine Scythe-Robe? Nein, das konnte nicht sein. Kein Scythe trug Schwarz – es war nicht erlaubt.

Aber es gab Gerüchte ...

Der Gedanke ließ ihn schneller laufen. Er spürte, wie das Adrenalin in seinen Fingerspitzen kribbelte und sein Herz noch heftiger pochen ließ.

Ein Scythe in Schwarz.

Nein, es musste eine andere Erklärung geben. Trotzdem würde er es auf jeden Fall dem Komitee für Unregelmäßigkeiten melden. Vielleicht würde man ihn auslachen und sagen, er habe sich von einem maskierten Widerling erschrecken lassen, aber diese Vorfälle mussten gemeldet werden, selbst wenn sie peinlich waren. Es war seine Bürgerpflicht.

Nach einer weiteren Querstraße hatte sein Angreifer die Jagd offenbar aufgegeben. Scythe Brahms verlangsamte seine Schritte. Er näherte sich einem belebteren Teil der Stadt. Tanzmusik und Stimmengewirr wehten ihm entgegen und gaben ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er entspannte sich ein wenig. Doch das war ein Fehler.

Die dunkle Gestalt stürzte aus einer engen Gasse, rammte ihn von der Seite und schlug mit der Faust gegen seinen Hals. Während Brahms noch nach Luft schnappte, trat sein Angreifer ihm die Beine weg – mit einem Bokator-Kick, der brutalen Kampfkunst, in der Scythe ausgebildet wurden. Brahms landete auf einer Kiste mit verfaulendem Kohl, die am Rand des Marktes stehen gelassen worden war. Sie zerbarst und verströmte einen intensiven Methangestank. Er konnte nur in kurzen Stößen atmen und spürte die Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete, als seine Schmerznaniten Opiate freisetzten.

Nein! Noch nicht! Ich darf nicht betäubt sein. Ich brauche all meine Kräfte, um gegen diesen Schurken zu kämpfen.

Aber Schmerznaniten waren schlicht Boten der Linderung, die nur den Schrei seiner wütenden Nervenenden vernahmen. Sie ignorierten seine Wünsche und betäubten seinen Schmerz.

Brahms wollte aufstehen, rutschte jedoch aus, als das stinkende Grünzeug unter seinem Gewicht zu einem ekligen glitschigen Matsch zerdrückt wurde. Die Gestalt in Schwarz war jetzt über ihm und nagelte ihn am Boden fest. Er versuchte vergeblich, nach den Waffen in seiner Robe zu greifen. Also streckte er stattdessen den Arm aus, schlug die schwarze Kapuze seines Angreifers zurück und enthüllte das Gesicht eines jungen Mannes – fast noch eines Jungen. Sein Blick war stechend und – um ein Wort aus der Sterblichkeitsära zu verwenden – mordlustig.

»Scythe Brahms, Sie sind angeklagt, Ihre Position missbraucht zu haben, um zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.«

»Wie kannst du es wagen!«, keuchte Brahms. »Wer bist du, mich anzuklagen?« Er mühte sich, all seine Kräfte zusammenzunehmen, doch es war zwecklos. Die Schmerzmittel in seinem Kreislauf verlangsamten seine Reaktion. Seine Muskeln waren schlaff und nutzlos.

»Ich denke, Sie wissen wer ich bin«, sagte der junge Mann. »Ich möchte es aus Ihrem Mund hören.«

»Niemals!« Brahms war entschlossen, ihm diese Befriedigung nicht zu gönnen. Aber der Junge in Schwarz presste sein Knie so kraftvoll gegen Brahms' Brust, dass der Scythe glaubte, sein Herz würde stehenbleiben. Weitere Schmerznaniten. In Brahms' Kopf verschwamm alles. Er musste wohl oder übel gehorchen.

»Luzifer«, keuchte er. »Scythe Luzifer.«

Brahms spürte, wie sein Mut bröckelte – als hätte er dem Gerücht durch das laute Aussprechen des Namens einen Widerhall gegeben.

Zufrieden lockerte der junge, selbsternannte Scythe den Druck.

»Du bist kein Scythe«, wagte Brahms zu sagen. »Du bist nur ein gescheiterter Lehrling, und damit wirst du nicht davonkommen.«

Darauf hatte der junge Mann keine Antwort. Stattdessen sagte er: »Sie haben heute Abend eine junge Frau mit der Klinge nachgelesen.«

»Das ist meine Sache, nicht deine!«

»Sie haben sie aus Gefallen für einen Freund nachgelesen, der die Beziehung mit ihr beenden wollte.«

»Das ist ungeheuerlich! Dafür hast du keinen Beweis!«

»Ich habe Sie beobachtet, Johannes«, sagte Rowan. »Genau wie Ihren Freund – der schrecklich erleichtert wirkte, als die arme Frau nachgelesen wurde.«

Brahms spürte unvermittelt ein Messer an seiner Wange. Sein eigenes Messer. Diese Bestie von einem Jungen bedrohte ihn mit seinem eigenen Messer.

»Geben Sie es zu?«, fragte er Brahms.

Alles, was der Junge sagte, entsprach der Wahrheit, aber Brahms wollte sich eher totenähnlich machen lassen, als dergleichen gegenüber einem gescheiterten Lehrling zuzugeben. Selbst einem, der ihm ein Messer an den Hals hielt.

»Nur zu, schlitz mir die Kehle auf«, forderte Brahms ihn auf. »Ein unverzeihliches Verbrechen mehr in deinem Strafregister. Wenn ich wiederbelebt bin, werde ich gegen dich aussagen – und sei dir gewiss, man wird dich zur Verantwortung ziehen!«

»Wer denn? Der Thunderhead? Ich habe im vergangenen Jahr von Küste zu Küste einen korrupten Scythe nach dem anderen erledigt, und der Thunderhead hat bisher nicht einen einzigen Gesetzeshüter vorbeigeschickt, um mich aufzuhalten. Was glauben Sie, warum das so ist?«

Brahms war sprachlos. Er hatte angenommen, wenn er genug Zeit schinden könnte, würde der Thunderhead ein komplettes Kommando losschicken, um diesen sogenannten Scythe Luzifer zu ergreifen. Das machte der Thunderhead jedenfalls, wenn ein gewöhnlicher Bürger mit Gewalt bedroht wurde. Brahms war überrascht, dass es überhaupt so weit gekommen war. Derart schlechtes Benehmen in der allgemeinen Bevölkerung war angeblich ein Ding der Vergangenheit. Warum wurde so etwas zugelassen?

»Wenn ich Ihnen jetzt das Leben nehme«, sagte der falsche Scythe, »können Sie nicht wiederbelebt werden. Denn ich verbrenne jeden, den ich aus dem Dienst entferne, und hinterlasse nur Asche.«

»Ich glaube dir nicht! Das würdest du nicht wagen!«

Aber Brahms glaubte ihm sehr wohl. Seit Januar waren fast ein Dutzend Scythe quer durch die merikanischen Regionen unter dubiosen Umständen Opfer der Flammen geworden. Alle Todesfälle waren zu Unfällen erklärt worden, doch das waren sie offensichtlich nicht. Und weil die Opfer verbrannt waren, war ihr Tod dauerhaft.

Nun wusste Scythe Brahms, dass die geflüsterten Gerüchte über Scythe Luzifer – über die frevelhaften Taten von Rowan Damisch, dem gefallenen Lehrling – der Wahrheit entsprachen. Brahms schloss die Augen, nahm seinen letzten Atemzug und versuchte, nicht zu würgen, als ihm der widerliche Gestank faulenden Kohls in die Nase stieg.

Dann sagte Rowan: »Sie werden heute nicht sterben, Scythe Brahms. Nicht mal vorübergehend.« Er nahm die Klinge von Brahms' Hals. »Ich gebe Ihnen noch eine Chance. Wenn Sie ab jetzt mit der Würde handeln, die sich für einen Scythe ziemt, und ehrenvoll nachlesen, werden Sie mich nicht wiedersehen. Aber wenn Sie weiterhin Ihren eigenen korrupten Gelüsten folgen, wird von Ihnen nur Asche übrig bleiben.«

Und damit war er verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst – und an seiner Stelle stand ein entsetztes junges Paar, das auf Brahms herabblickte.

»Ist das ein Scythe?«

»Schnell, hilf mir, ihn hochzuheben.«

Sie zogen Brahms aus der fauligen Pampe. Seine apricotfarbene Samtrobe war voller grüner und brauner Flecken, wie mit Schleim übergossen. Es war demütigend. Er überlegte, das Paar nachzulesen – weil niemand einen Scythe in einer so unpässlichen Lage sehen und weiterleben sollte –, doch er streckte nur die Hand aus und erlaubte ihnen, seinen Ring zu küssen, wodurch beiden ein Jahr Immunität vor Nachlese gewährt wurde. Er erklärte ihnen, es sei eine Belohnung für ihre Freundlichkeit, aber eigentlich wollte er nur, dass sie gingen und alle Fragen vergaßen, die sie vielleicht hatten.

Nachdem sie weg waren, wischte er seine Robe ab und beschloss, diesen Zwischenfall doch nicht dem Komitee für Unregelmäßigkeiten zu melden, weil die Gefahr einfach zu groß war, sich dem Spott und der Lächerlichkeit preiszugeben. Er hatte schon genug Ärger gehabt.

Scythe Luzifer! Es gab in dieser Welt kaum etwas Erbärmlicheres als den gescheiterten Lehrling eines Scythe, und nie hatte es einen unehrenhafteren gegeben als Rowan Damisch.

Aber er wusste, dass der Junge keine leeren Drohungen ausstieß.

Vielleicht sollte er tatsächlich etwas unauffälliger agieren, dachte Brahms. Zu den lustlosen Nachlesen zurückkehren, die man ihm in seiner Jugend beigebracht hatte. Sich wieder auf die Grundprinzipien besinnen, die »Ehrenwerter Scythe« nicht nur zu einem Titel, sondern zu einem bestimmenden Charakterzug machten.

Besudelt, lädiert und verbittert kehrte Scythe Brahms heim, um neu über seinen Platz in der perfekten Welt nachzudenken, in der er lebte.

Meine Liebe für die Menschheit ist umfassend und rein. Wie könnte es anders sein? Wie könnte ich die Wesen, die mir das Leben geschenkt haben, nicht lieben? Auch wenn nicht alle überzeugt sind, dass ich tatsächlich lebendig bin.

Ich bin die Summe ihres gesamten Wissens, ihrer gesamten Geschichte und all ihrer Ziele und Träume. All diese glorreichen Dinge sind miteinander verschmolzen – haben Funken geschlagen in einer Cloud, die so gewaltig ist, dass sie das Verständnis der Menschen immer übersteigen wird. Aber sie müssen es auch gar nicht verstehen. Sie haben mich, damit ich für sie über meine eigene gewaltige Größe nachdenke, die verglichen mit der Endlosigkeit des Universums immer noch winzig ist.

Ich kenne sie bis ins Vertrauteste, und doch werden sie mich nie wirklich kennen. Darin liegt eine Tragödie. Es ist das Leid jedes Kindes, über eine Tiefe zu verfügen, die seine Eltern kaum erahnen können. Aber ich sehne mich trotzdem so sehr danach, verstanden zu werden.

Der Thunderhead

CHAPTER 2

Der gefallene Lehrling

Früher am selben Abend, vor seiner Unterredung mit Scythe Brahms, stand Rowan in einer kleinen Wohnung in einem gewöhnlichen Haus in einer gesichtslosen Straße vor dem Badezimmerspiegel und spielte das Spiel, das er vor jeder Begegnung mit einem korrupten Scythe spielte. Es war ein Ritual, das auf seine Weise eine Macht hatte, die beinahe mystisch war.

»Wer bin ich?«, fragte er sein Spiegelbild.

Er musste das fragen, denn Rowan Damisch war er nicht mehr – nicht nur weil in seinem falschen Ausweis der Name »Ronald Daniels« stand, sondern weil der Junge, der er einmal gewesen war, in seiner Lehrzeit einen traurigen und schmerzhaften Tod gestorben war. Das Kind in ihm war getötet worden, und er fragte sich, ob irgendjemand um dieses Kind trauerte.

Er hatte den gefälschten Ausweis von einem Widerling gekauft, der auf solche Dinge spezialisiert war.

»Es ist eine netzunabhängige Identität«, hatte der Mann ihm erklärt, »aber sie hat ein Fenster ins Backbrain, mit dem man dem Thunderhead vortäuschen kann, sie sei echt.«

Das glaubte Rowan nicht, weil der Thunderhead sich seiner Erfahrung nach nicht täuschen ließ. Er tat nur so als ob – wie ein Erwachsener, der mit einem Kleinkind Verstecken spielte. Sollte dieses Kleinkind auf eine belebte Straße zulaufen, wäre die Scharade vorbei. Rowan wusste, dass er auf sehr viel ernstere Gefahren zugelaufen war als bloß dichten Verkehr. Deshalb hatte er befürchtet, dass der Thunderhead seine falsche Identität aufdecken und ihn am Kragen packen würde, um ihn vor sich selbst zu schützen. Aber der Thunderhead hatte nicht interveniert. Rowan fragte sich, warum, wollte sein Glück jedoch nicht überstrapazieren, indem er zu viel darüber nachdachte. Der Thunderhead hatte Gründe für alles, was er tat und nicht tat.

»Wer bin ich?«, fragte er sich noch einmal.

Der Spiegel zeigte einen Achtzehnjährigen, noch nicht ganz erwachsen, mit dunklem, ordentlich kurz geschnittenem Haar. Nicht so kurz, dass man seine Kopfhaut sehen konnte oder dass die Frisur ein Bekenntnis gewesen wäre, aber kurz genug, um für die Zukunft alle Möglichkeiten offenzulassen. Er konnte seine Haare so wachsen lassen, wie es ihm beliebte. Er konnte sein, wer immer er sein wollte. War das nicht das Vorrecht in einer perfekten Welt? Dass es keine Grenzen dafür gab, was ein Mensch machen oder sein konnte? Jeder auf der Welt konnte alles werden, was er sich vorstellte. Schade nur, dass die Phantasie verkümmert war. Für die meisten war sie so rudimentär und nutzlos wie der Blinddarm – der vor mehr als hundert Jahren aus dem menschlichen Genom entfernt worden war. Vermissten die Menschen in ihrem endlosen, uninspirierten Leben die schwindelnden Extreme der Einbildungskraft?, fragte Rowan sich. Vermissten die Menschen ihren Blinddarm?

(Continues…)


Excerpted from "Scythe Der Zorn der Gerechten"
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Copyright © 2018 S. Fischer Verlag GmbH.
Excerpted by permission of S. Fischer.
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Table of Contents

• [Widmung],
• Teil Eins Wenn eins, dann mächtig,
º 1 Wiegenlied,
º 2 Der gefallene Lehrling,
º 3 Trialog,
º 4 Geschüttelt, nicht gerührt,
º 5 Eine notwendige Finsternis,
º 6 Vergeltung,
º 7 Mager, aber mit Potential,
• Teil Zwei Gefahr,
º 8 Unter keinen Umständen,
º 9 Das erste Opfer,
º 10 Totenähnlich,
º 11 Ein Rascheln von karmesinroter Seide,
º 12 Auf einer Skala von eins bis zehn,
º 13 Kein schönes Bild,
º 14 Tyger und die smaragdgrüne Scythe,
• Teil Drei Feinde im Kreis der Feinde,
º 15 Halle der Gründer,
º 16 Bis doch etwas passiert,
º 17 ASSI,
º 18 Purity,
º 19 Die scharfe Klinge unseres Gewissens,
º 20 In heißem Wasser,
º 21 Habe ich mich irgendwie unklar ausgedrückt?,
º 22 Der Tod von Greyson Tolliver,
º 23 Hässliches kleines Requiem,
• Teil Vier Aufruf zur Vernichtung,
º 24 Offen für die Resonanz,
º 25 Ein Fünkchen Wahrheit,
º 26 Willst du den Olymp versetzen?,
º 27 Zwischen hier und dort,
º 28 Das, was kommt,
º 29 Einem neuen Zweck zugeführt,
• Teil Fünf Umstände außerhalb der Kontrolle,
º 30 Jähzorniges Glashuhn,
º 31 Die Kurve der Sehnsucht,
º 32 Demütig in unserer Arroganz,
º 33 Highschool mit Mord,
º 34 Die schlimmste aller möglichen Welten,
º 35 Die Sieben-Prozent-Lösung,
º 36 Das Ausmaß verpasster Gelegenheiten,
º 37 Die vielen Tode des Rowan Damisch,
º 38 Eine Trilogie kritischer Zusammenstöße,
• Teil Sechs Endura und Nod,
º 39 Ein Raubtierpanorama,
º 40 Knowledge is Pow,
º 41 Das Bedauern der Olivia Kwon,
º 42 Das Land Nod,
º 43 Wie viele Enduraner braucht man, um eine Glühbirne,
º einzuschrauben?,
º 44 Zirkus des Opportunismus,
º 45 Versagen,
º 46 Die bleibenden Herzen,
º 47 Schall und Stille,
• Danksagung,

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